Tibet-Buddhismus 6 Pilgerreise nach Indien und Nepal

Tibet & Buddhismus: Heft 6 3/1988 Schwerpunkt-Thema: Pilgerreise nach Indien und Nepal

Editorial von Geshe Thubten Ngawang

Liebe Freunde,

Es ist wieder einmal Zeit für die neuen Programmankündigungen - diesmal für die Zeit von Juli bis September dieses Jahres. In der Zwischenzeit sind wir von unserer dreimonatigen Pilgerfahrt nach Indien und Nepal, die von Dezember 87 bis März 88 andauerte, wohlbehalten zurückgekehrt. Die Reise ist sehr schön verlaufen. Wir haben alle heiligen Orte besucht, die wir uns vor Beginn der Reise vorgenommen hatten, und auch sonst haben wir alles gesehen und erledigt, was vor der Reise geplant war. Die Reisenden fuhren nach Ablauf der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit in kleinen Gruppen zurück und auch während der Reise ist zum Glück niemand zu Schaden gekommen. So blicken wir auf eine gut gelungene Reise zurück.

Auf der Reise konnte ich mich auch davon überzeugen, daß die Patenschaftsgelder und die anderen Spenden für unsere Flüchtlingshilfeprojekte ordnungsgemäß verwandt wurden. Es bot sich die Gelegenheit, bei den Empfängern noch einmal darauf hinzuweisen, wie wichtig es sei, insbesondere den Kontakt zu den Paten aufrecht zu erhalten, indem sie regelmäßig schreiben und den Erhalt ihrer Unterstützungen bestätigen. Man bat mich, Ihnen auszurichten, wie wichtig Ihre Hilfe und wie dankbar man dafür ist. Sicherlich haben sich die Bedingungen in den letzten Jahren verbessert, aber ohne die Hilfe von außen geht es nicht. Die Probleme sind eben nach wie vor typische Flüchtlingsprobleme. Durch Ihre Hilfe können die Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt bestreiten, ihre Studien durchfuhren und ihre Kultur aufrechterhalten. Dafür möchten wir Ihnen danken. Sollten Sie einmal irgendwelche Verständigungsschwierigkeiten mit ihren “Patenkindern” haben, können Sie sich auch in Zukunft an mich oder Jampa Tsedroen (Carola Roloff) wenden.

Nach unserer Rückkehr aus Indien nahmen wir, so gut es ging, unsere üblichen Aktivitäten wieder auf, wie das Erklären des Dharma usw. Die Zentrumsbewohner bemuhen sich insbesondere, während der angekündigten Veranstaltungen und an den Wochenenden für die Besucher da zu sein, und umgekehrt hat auch die verantwortungsvolle Mithilfe der außerhalb wohnenden Mitglieder und Freunde in der letzten Zeit zugenommen, worüber ich mich sehr freue. Auch die finanzielle Situation hat sich durch all die hilfreichen zinslosen Darlehen und Spenden verbessert. Bei allen Helfern mochte ich mich dafür bedanken.

Die Hilfe von außen hat wirklich einen großen Nutzen; denn je mehr Hilfe von außen kommt, desto mehr können die Zentrumsbewohner, von denen bereits drei bis vier Tibetisch können, sich ihren Studien und den Übersetzungen von buddhistischen Schriften widmen, Publikationen erstellen und vieles Andere mehr tun, was wiederum Ihnen zugute kommt. Sich so in der Zukunft noch mehr gegenseitig zu unterstützen, wurde sicherlich einen sehr großen Nutzen haben. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, wieviel Zeit jeder aufbringen kann. Die Hauptsache ist, daß jeder so viel hilft, wie es möglich ist - sei es jeden Tag, für einige Stunden oder auch punktuell.

Von außen betrachtet könnte bei einigen von Ihnen, die vielleicht noch nie hier gewesen sind, der Eindruck entstehen, daß alles von außen geschehen solle. Es wird um Hilfe bei der Arbeit von außen und um Spenden von außen gebeten. Da könnte einem leicht der Zweifel kommen, daß die Zentrumsbewohner vielleicht nur schlafen, essen und es sich gut gehen lassen. Aber so ist es ganz und gar nicht. Diesen Zweifel braucht sicher niemand haben. Die Zentrumsbewohner zeigen sowohl in Hinsicht auf ihre Studien, als auch auf die anfallenden Arbeiten sehr große Entschlossenheit und Tatkraft. Aber da an das Zentrum immer größere Anforderungen gestellt werden und sehr viele verschiedene Arbeiten anfallen, reicht die Zeit der Zentrumsbewohner einfach nicht mehr aus, alle Arbeiten kontinuierlich allein zu bewältigen.

Diejenigen unter Ihnen, die häufig ins Zentrum kommen, wissen aus eigener Erfahrung, wovon ich spreche. Aber da die Gefahr besteht, daß die anderen unter Ihnen unsere Aufrufe falsch verstehen, möchte ich darauf kurz eingegangen sein. Die Zentrumsbewohner könnten ihre Arbeiten wirklich nicht besser erfüllen. Sie haben mein ganzes Vertrauen.

Für besonders wichtig halten wir es, unsere Aktivitäten bezüglich der Herausgabe von Büchern auszuweiten. Denn das Interesse für ein kontinuierliches Studium des Dharma nimmt immer mehr zu, und da bisher nur sehr wenige Bücher erhältlich sind, in denen der Buddhismus in deutscher Sprache gut dargelegt wird, müssen wir uns darauf einstellen, daß das dringende Bedürfnis an deutschen Büchern in nächster Zeit immer größer werden wird. Daher möchte ich Sie bitten, uns so gut es geht bei dieser Aufgabe behilflich zu sein. Auch ich werde mein Bestes dazu tun. Kürzlich wurde bereits eine Stiftung zu diesem Zweck gegründet, die die finanzielle Basis für diese Arbeit gewähren soll, und auch anderweitige Hilfestellungen wurden uns angeboten. Unser Augenmerk soll daher zukünftig besonders auf diese Aufgabe gerichtet werden. Ab September steht uns ein besonderes Ereignis bevor: Die Dharmalehrerausbildung wird beginnen, die ich im letzten Jahr in der Hoffnung, möglichst viel an Kenntnissen über den Buddhismus vermitteln zu können, angeboten hatte. Ich freue mich sehr, daß recht viele unter Ihnen sich zu einer Teilnahme entschlossen haben, und möchte mich von ganzem Herzen für Ihr Interesse bedanken. Da die Ausbildung schon sehr bald beginnt, ist es nach buddhistischer Auffassung sehr wichtig, zu Anfang eine gute Motivation zu erzeugen, indem wir unsere Gedanken etwa folgendermaßen lenken: “Möge dieses Studium bewirken, daß ich in Zukunft durch den Dharma positiven Einfluß auf die menschliche Gesellschaft nehmen werde. Ich bin in der glücklichen Lage, alle fördernden Umstände gefunden zu haben: Ich bin gesund, habe einen klaren Verstand und lebe in einem Land, in dem ich die Freiheit habe, den Buddhismus zu studieren und anzuwenden. Möge ich, indem ich durch das Dharmastudium vor allem mein eigenes Geisteskontinuum so gut es geht zum Positiven verändere, Liebe und Mitgefühl in mir entwickeln und so durch ein gutes Herz zum Wohle der Anderen wirken.” Bezüglich der Prüfungen könnte man einerseits denken, daß wir sie nicht brauchen. Aber man muß andererseits auch die Umstände in dem Land, in dem wir leben, berücksichtigen, wo allgemein großer Wert auf Prüfungen gelegt wird. Ich denke, daß wir auch hier die Extreme vermeiden sollten, und die Prüfungen, die abgenommen werden, weder zu streng noch zu leicht handhaben sollten.

Schauen wir zurück auf die Zeit, da sich die Lehre des Buddhismus durch die Güte unseres Lehrers Buddha Shakyamuni und durch das Interesse vieler Menschen von Indien in viele andere Länder ausbreitete. Damals gelangte der Buddhismus, insbesondere durch das Wirken der Meister Atisha und Padmasambhava, auch nach Tibet. Zu jener Zeit gab es wahrscheinlich niemanden, 6 der diesen Meistern Prüfungen abnahm. Jedoch verfügten sie über eine sehr große Entschlossenheit, aufgrund derer sie von sich aus große Anstrengungen machten, den Buddhismus zu studieren und zu praktizieren. Auf diese Weise erlangten sie, sozusagen aus natürlicher Kraft einen Zustand, in dem sie durch ihr eigenes Beispiel Andere von ihrer “Kompetenz” bezüglich des Dharma überzeugten, und somit breitete sich der Buddhismus allmählich aus.

Um für unsere Mitmenschen im Land, also für viele Menschen, einen Nutzen bewirken zu können, ist es zu Anfang das Wichtigste, eine gute Motivation zu erzeugen. Mit guter Motivation ist hier die eines Bodhisattvas gemeint. Ein Bodhisattva ist jemand, zu dessen Veranlagung es gehört, von Anfang an bei Allem, was er tut, die gute Motivation zu haben, zum Wohle der Anderen handeln zu wollen. Es geht dem Bodhisattva also nicht etwa darum, ein berühmter Gelehrter zu werden, gute Zeugnisse zu bekommen und sich einen großen Namen machen zu wollen, ein Bodhisattva hegt auch nicht im geringsten ein Fünkchen eines solchen Gedankens. Es geht ihm nur um die Praxis. Für ihn ist das Studium das Mittel zum Zweck - die eigene Anwendung und das Wohl der Lebewesen.

So sollten auch wir uns bemühen zu denken: “Das Studium ist das notwendige Werkzeug, das ich benötige, um den Lebewesen nützen zu können. Und um das verwirklichen zu können, will ich mein Interesse einsetzen und mich bemühen, in Zukunft aus eigener Kraft mit meiner Person ein Beispiel zu setzen, so wie es unsere geistigen Khadampa-Lehrer, Palden Atisha und Gyalwa Dromtönpa und viele andere Khadampameister uns vorgelebt haben.”

Äußerlich hatten sie große Qualitäten hinsichtlich der Beherrschung ausgedehnter Schriften vorzuweisen, und innerlich hatten sie große Qualitäten hinsichtlich des Einhaltens in Bezug auf ihre eigene Praxis.

1) Ausschließlich an das Wohl der anderen zu denken,

2) das Studium als Werkzeug zur Erreichung der Ziele zu betrachten: das Wohl der Lebewesen und die dafür notwendige Anwendung der Lehren auf den eigenen Geist

3) und somit helfen zu wollen, die kostbaren und guten Dharma-Anweisungen kontinuierlich aufrechtzuerhalten,
nennt man die drei besonderen Gedanken. Wenn wir es schaffen, diese drei Gedanken in uns zu entwickeln, wird das sicherlich ein Beitrag zum Wohlergehen der Menschheit sein. Insbesondere in diesem Zeitalter, wo es so viele Probleme zu bewältigen gibt, habe ich die Hoffnung, durch die Dharmalehrerausbildung einen kleinen wertvollen Beitrag dazu leisten zu können, daß die Probleme in der Welt abnehmen.

Darüberhinaus denke ich, sollten wir uns bewußt machen, daß wir uns zum ersten Mal in solcher Form mit den Inhalten der buddhistischen Lehre auseinandersetzen werden, die noch dazu aus einer uns fremden Sprache übersetzt werden müssen. Deshalb sollten wir nicht zu hohe Erwartungen haben, als würde die Ausbildung von einer gut organisierten, lang erfahrenen Hochschule angeboten. Wir brauchen für diesen neuen Weg viel ihm entsprechende Entschlossenheit und Geduld. Wir sollten uns von Anfang an klar machen, daß es sicherlich ab und zu Mal passieren wird, daß wir etwas nicht gleich verstehen oder in unserem Geist auf Widerstände stoßen. Von Zeit zu Zeit wird so etwas sicherlich auftreten. Aber wenn man die zeitweiligen Schwierigkeiten gegen den Nutzen abwägt, so wird der Nutzen sicherlich überwiegen. Wenn man, um große Inhalte zu erlangen, gewisse Schwierigkeiten auf sich nehmen muß, so liegt das in der Natur der Sache, was jeder mit seinem Verstand bzw. mit seiner Weisheit erkennen kann. Und deswegen sollten wir uns schon vorher darauf einstellen, daß wir mitunter starke Entschlossenheit und Geduld benötigen.

So werden in den nächsten Jahren der Dialog und das Studium im Vordergrund stehen und diejenigen, die nicht immer direkt an der Ausbildung teilnehmen können, werden sich trotzdem auch verantwortungsvoll um ihre Studien bemühen und sich sicherlich von Zeit zu Zeit direkt an dem Dialog beteiligen.

Hin und wieder wird es bestimmt möglich sein, gemeinsame Treffen für alle Teilnehmer zu veranstalten.

Heft 6 - 3/1988

Schwerpunkt-Thema: Pilgerreise nach Indien und Nepal

  • Editorial (PDF)
  • Mitgliederversammlung 1988 (PDF)
  • Pilgerreise nach Indien und Nepal (PDF)
  • Geshe Rabten Rinpoche: Anleitung zur Meditation (PDF)