Tibet-Buddhismus 29 Geshe Thubten Ngawang - 15 Jahre in Hamburg

Tibet & Buddhismus: Heft 29 2/1994 Schwerpunkt-Thema: Geshe Thubten Ngawang - 15 Jahre in Hamburg

Editorial von Geshe Thubten Ngawang

Liebe Mitglieder und Freunde,

bevor ich Ihnen von unseren Plänen für die nahe Zukunft berichte, möchte ich allen, die zu der erfolgreichen Arbeit des Zentrums auf vielfältige Art beigetragen haben, meinen tiefempfundenen Dank aussprechen. Ich weiß, daß Ihnen diese Unterstützung oft viel Mühe abverlangt und schätze sie deshalb ganz besonders.

Im Februar konnten wir den dritten Kursus des siebenjährigen Systematischen Studiums des Buddhismus beginnen. Die neuen Studenten mögen sich vor Augen führen, daß die Dauer eines Lehrgangs relativ ist. Angesichts der Tatsache, daß wir etwas lernen können, was uns mit den Widrigkeiten des Lebens besser zurechtkommen läßt und langfristig zur Befreiung führt, sollten wir nicht nur mit Enthusiasmus beginnen, sondern uns vor allem kontinuierlich über diesen überschaubaren Zeitraum hinweg bemühen. Es nützt wenig, wenn man zwar zeitweilig viel Energie aufbringt, dann den Mut verliert und gar nichts mehr macht.

Auch ist es mir wichtig, daß wir ein vollständiges Studium des Verhaltens und der rechten Ansicht des Hïnayåna- und Mahåyåna-Buddhismus durchführen. Bruchstückhafte Kenntnisse und häufiges Wechseln des Interessengebietes sind für das Erlangen tieferer Erfahrungen schädlich. Wir sollten in jeder Hinsicht versuchen, nicht in die Extreme zu fallen, sondern einen mittleren Weg zu beschreiten.

Für diejenigen, die ihre Kenntnisse der buddhistischen Philosophie über diesen Studiengang hinaus vertiefen möchten, planen wir ein weiteres Intensiv-Ausbildungsprogramm, bei dem nach anfänglichem Studium der klassischen tibetischen Schriftsprache die Originalschriften gelesen und, um sie nicht wieder zu vergessen, auch zum Teil auswendig gelernt werden. Bei diesem Kursus wird der Schwerpunkt die Praxis der traditionellen philosophischen Debatte sein. Im allgemeinen ist es förderlich, die tibetische Dharma- Schriftsprache zumindest soweit zu erlernen, daß man einige Gebete lesen kann und mit der Unterstützung anderer auch weitergehende Texte zu übersetzen vermag. Ein neuer Tibetischkursus hat bereits im März begonnen.

Am 11. Mai um 16.00 Uhr wird uns als Frucht unserer langjährigen interreligiösen Bemühungen die besondere Ehre zuteil, daß uns die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen besucht und in unserem Tempel einen Vortrag zum Thema »Gebet im Protestantismus« hält. Es erfüllt mich mit großer Freude, wenn wir zu der in unserem Gebiet meistverbreiteten Religionsgemeinschaft so gute Beziehungen pflegen können. Diese Kontakte sind gerade in einer Zeit sehr wichtig, in der die gesellschaftliche Bedeutung des Buddhismus offensichtlich zunimmt.
Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den vielfältigen buddhistischen Gruppen in Hamburg werden am 5. Juni um 14.00 Uhr bei einer gemeinsamen Veranstaltung zum Vesakh-Fest im Auditorium Maximum der Universität zum Ausdruck kommen. Wir werden uns mit Gebet, Vortrag, Meditation, Diskussion und Tanz der Öffentlichkeit vorstellen und des Gründers unserer Religion gedenken. Es ist der Güte Buddha Shåkyamunis zu verdanken, daß seine Lehre uns immer noch zur Verfügung steht, und sie ihren Nutzen jetzt auch in der westlichen Gesellschaft entfalten kann.

Vom 22.-25. Juli werde ich Unterweisungen zu den Vorbereitenden Übungen geben. Wenn wir unser Studium in der Meditation anwenden wollen, ist es notwendig, den Geist auf die Meditation vorzubereiten, indem man ihn mit Hilfe dieser Übungen reinigt und heilsame Anlagen sammelt. Ich halte dieses Thema für sehr wichtig und möchte Sie herzlich einladen, den Kursus zu besuchen. Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem Programmteil.

In den letzten Wochen ist uns im Rahmen der Gespräche über den Ausbau des Stadtzentrums immer deutlicher geworden, wie wertvoll ein zusätzliches, größeres Klausurzentrum auf dem Land für unsere Arbeit wäre. Das derzeitige Klausurhaus in Pisselberg bei Lüchow-Dannenberg ist dafür etwas zu klein und bietet wegen der Besitzverhältnisse auf Dauer keine Perspektive. Wir suchen deshalb geeignete Objekte und möchten Sie darum bitten, uns mitzuteilen, falls Sie ein geeignetes Haus mit Bauland kennen.

In den nächsten Monaten wird ein zweiter Lama zu uns kommen, der 1991 seine Prüfung zum Lharampa Gesche im Kloster Sera abgelegt hat. Seine Anwesenheit wird die Lehrtätigkeit im Zentrum auf eine stabilere Grundlage stellen und ermöglichen, daß auch in Zukunft jeder auf seine Fragen kompetente Antworten erhält. Während meines letzten Aufenthalts in Indien fand ich auch die Unterstützung S. H. des Dalai Lama zu dieser Einladung. Außerdem traf ich vor Ort wieder viele Tibeter, die aus unserer Flüchtlingshilfe großen Nutzen ziehen. Die meisten von ihnen können dank Ihrer Hilfe intensiv studieren und erfreuen sich guter Gesundheit. Immer wieder machte ich ihnen bewußt, daß auch die westlichen Menschen diese Hilfe nur unter Opfern aufbringen können. Sie baten mich inständig, den Spendern im Tibetischen Zentrum, der Deutschen Tibethilfe unter der Leitung der unermüdlichen Irmtraut Wäger, die uns im März wieder besucht hat, und auch den Tibet-Initiativen, die sich mit großem Engagement für ein freies Tibet einsetzen, ihren Dank auszusprechen.

Ich selbst bin nun seit 15 Jahren in Hamburg. Ich erfreue mich guter Gesundheit und bin frohen Mutes. Aufgrund der guten Zusammenarbeit, an der viele von Ihnen beteiligt sind, ließen sich bereits viele unserer Vorhaben verwirklichen. Anläßlich des Jubiläums werden im Zentrum Unterweisungen und Initiationen gegeben, deren Termine Sie bitte dem Programmteil entnehmen.

Im Moment nimmt das Interesse der breiten Öffentlichkeit am Buddhismus sehr zu, was sich in zahlreichen Veröffentlichungen in den Medien widerspiegelt. Wichtig erscheint mir in diesem Prozeß, daß man die Lehre auf der Grundlage guter Kenntnisse der Inhalte anwendet. Ein unvollständiges Wissen und unzureichende Ursachen und Bedingungen für die Praxis reichen nicht aus, wenn die buddhistische Geistesschulung der westlichen Gesellschaft wirklich den Nutzen bringen soll, den sich offenbar viele davon erhoffen.

Tatsächlich enthält die Lehre – richtig angewandt – die Mittel, um den Wesen das ersehnte Glück zu bringen, denn sie geht auf die untrügerischen Aussagen eines vollkommenen Buddhas zurück. Äußere Mittel allein werden den Menschen niemals die gewünschte Befriedigung geben können. Wenn wir aber die Drei Höheren Schulungen von Ethik, Konzentration und Weisheit über längere Zeit hinweg korrekt anwenden, kann die endgültige Glückseligkeit der Befreiung oder sogar die Buddhaschaft zum Wohle anderer das Resultat sein; nebenher ergeben sich noch zahllose weitere Vorteile für die Gesellschaft.

Heft 29 - 2/1994

Schwerpunkt-Thema: Geshe Thubten Ngawang - 15 Jahre in Hamburg

  • Editorial (PDF)
  • Interview mit Geshe Thubten Ngawang: Die Tibeter fragen auch nicht, wieviel Kilometer es von Bodhgaya bis zur Hölle sind (PDF)
  • Dschampa Kedrup Rinpotsche: Der Strom von Tropfen des Kühlung spendenden Mondes (PDF)
  • Geshe Thubten Ngawang: Über den Nutzen der Religion für die moderne Gesellschaft (PDF)
  • Bilderbuch: Geshe Thubten 15 Jahre in Hamburg (PDF)
  • Interview mit Peter Turner: "Das Zentrum soll keine Enklave sein, sondern eine Brücke" (PDF)
  • T. W. Thaktsang: Ein Tibeter bereist seine Heimat (PDF)
  • S. H. Dalai Lama: Grundzüge buddhistischer Philosophie (PDF)
  • S. H. Dalai Lama: Märzbotschaft (PDF)
  • Barbara Herling: Frankfurt — Lhasa und zurück (PDF)
  • Tibet-Nachrichten (PDF)
  • Buchbesprechungen (PDF)
  • Interne Nachrichten (PDF)